Samstag, 15. 7. Von Ramsen bis Rohrschach, (78 km)

Zweihundertdreissig Kilometer, über achtunddreissig Grad Celsius...So sieht's heute bei der Tour de France aus. Da kann ich natürlich nicht mithalten, das ist klar. Dafür radle ich heute achtundsiebzig Kilometer in vier Stunden und dreizehn Minuten, was für meine Verhältnisse auch ganz akzeptabel ist. Jawohl! Dabei drücke ich nicht mal sonderlich beherzt auf's Gaspedal beziehungsweise in die Pedale, sondern bin eigentlich ganz gemütlich unterwegs.


Um 7 Uhr rolle ich heute schon aus dem Örtchen Ramsen und mache mich auf den Weg nach Stein am Rhein, wo ich mich in den Seeradweg einzufädeln gedenke. Die Sonne ist anfänglich noch hinter dem Gipfel des Schiener Berges versteckt und dieser, der Berg, wirft seinen Schatten noch weit ins Land hinaus. Dagegen leuchten auf dem anderen Rheinufer schon die Getreidefelder golden in der Morgensonne. Es war ein glücklicher Zufall, dass ich heute schon um sechs Uhr dreissig frühstücken konnte - normalerweise wäre das nämlich erst eine Stunde später möglich gewesen. Aber da hier im Hotel eine Jugendgruppe, ein Schwimmverein, nächtigte, und die jungen Leut' anscheinend ein Turnier austragen, gibt's da mal eine Ausnahme. Die Jungs und Mädels sind alle noch recht schlaftrunken und sitzen stumm und unbeteiligt vor ihrem Müsli, den beiden Trainern geht's wohl ebenso und ich weiss auch noch nicht recht, ob das nun eine gute Idee war und ob ich wirklich schon munter bin. Naja, mal sehen. Eigentlich läuft's dann auch ganz gut, der kühle Wind macht mich dann vollends wach - eine Wohltat nach der schwülen Nacht.


Schnell bin ich in Stein am Rhein. Die Stadt mal ganz ungewohnt bar jeglicher Touristenströme, der Busparkplatz an der Westseite der Stadt noch gähnend leer und alles und jeder scheint noch mal durchzuatmen, bevor dann bald die tägliche Invasion beginnt. Auf dem Marktplatz decken sich einige frühe Passanten mit frischem Brot oder Brötchen ein, es sind Marktstände aufgebaut und auch hier herrscht noch Ruhe vor dem Sturm.

Als ich über den Rhein setze, mit der glitzernden Gegenlichtstimmung zur Linken und dem Blau des Flusses und der Hügel auf der anderen Seite, den Anstieg bis zum Bahnhof hinaufklettere, den Radwegweisern des Seeradweges folge und auf halber Höhe abwechselnd durch Wohngebiete und freies Feld gleite, leckt sich die Sonne durch einige Nebelfelder und der Wind frischt auf - man wird wohl bald die ersten weissen Segel sehen. Ich bin so gut wie alleine auf der Fahrt entlang des Untersees. Das ist mir ganz recht so, denn hier rollt es gut, wenn man nicht durch nebeneinander fahrende Radler ausgebremst wird, und ausserdem mag ich diese Strecke hier recht gerne. Oft fährt man direkt am Seeufer entlang oder kommt durch sehenswerte Städtchen wie Steckborn oder Ermatingen.

In Kreuzlingen "gönne" ich mir einen Umweg, weil ich die Beschilderung übersehe, bin dann jedoch relativ schnell wieder auf Spur, die Richtung ist ja klar. Und jetzt wird's recht eintönig. Die Trasse ist gut ausgebaut, weitestgehend asphaltiert, aber kerzengerade und abseits der grossen Wasserfläche. Immerhin läuft es gut, es ist ja fast eben. Mit der Zeit nimmt nun der Verkehr zu, je mehr der Vormittag voranschreitet, desto mehr Radler sind unterwegs. Aber es ist immer noch in Ordnung. Visuell interessant wird es erst wieder so ab Romanshorn, wo man an Hafen und Seepromenade entlang fährt, ebenso in Arbon, Horn, Rohrschach. Mein Hotel in Rohrschacherberg ist bald gefunden, ich kenne den Weg ja noch vom letzten Jahr. Um die Mittagszeit geniesse ich schon ein Erdbeereis im Garten, mache Siesta, und als ich später im hauseigenen Solbad plantsche, fühle ich mich phantastisch, irgendwie so...äh..."Vagabund Deluxe"...

Später bekomme ich noch die Schlusssequenz der heutigen Tour de France Etappe mit, Jens Voigt gewinnt ein spannendes Rennen. Fühle mich heute auch irgendwie als Gewinner, denn die beiden Tagesetappen sind bisher spurlos an mir vorüber gegangen, keine sonderliche Müdigkeit in den Muskeln, auch sonst keine Malässen. Zudem komme ich mit dem Rad wieder wunderbar klar und wir sind wieder gut Freund geworden. Abends kehre ich dem See den Rücken und blicke im Hotelgarten auf grosse Parkbäume, lese nach dem Abendessen noch mein Buch zu Ende: Victoria Thèrame - Die Pianistin. Ein wunderbar frisches und ungekünsteltes, tiefes und lebendiges Stück Millieu-Prosa.


weiterlesen - zurück zur Homepage